Koller View 3/20

4 FÜR WEITERE INFORMATIONEN GEMÄLDE ALTER MEISTER Karoline Weser weser@kollerauktionen.ch ONLINE-KATALOGE www.kollerauktionen.ch Das literarische Schaffen des antiken Epikers Ovid im Allgemeinen und seine «Metamorphosen» im Beson- dern sind eine schier unerschöpfliche Inspirations- quelle für die Künste des Mittelalters und Barock. Die 15 vermutlich unmittelbar nach Christi Geburt ent- standenen Bücher dieses epochalenWerks der Weltli- teratur erzählen in VersformHunderte Verwandlungs- geschichten der antiken, vornehmlich griechischen Mythologie. Ausgehend von dieser berühmten lite- rarischen Vorlage formt der grosse flämische Meis- ter Jacob Jordaens sein sehr weltlich anmutendes, lebensnah erscheinendes Motiv «Venus und Adonis» (Abb. auf der Titelseite). Die grossformatige Darstel- lung zeigt Venus, die sich über den bei der Jagd ver- wundeten Adonis beugt. Er hatte Venus’ Warnungen in den Wind geschlagen und sich den wilden Tieren gegenübergestellt: «Sei nicht allzu dreist, mich selber gefährdend, o Jüngling! / Reize das Wild nicht, das die Natur mit Waffen gerüstet, / Dass nicht teuer dein Ruhm mir kommt! Denn Alter und Schönheit, / Alles, wodurch du Venus gerührt, rührt nimmer den Löwen / Oder das borstige Schwein und die Augen und Herzen des Wildes.» 

 Adonis‘ bevorstehender Tod und seine schicksalhaf- te Verwandlung werden dem Betrachter durch die am linken unteren Bildrand dargestellte, auf den ersten Blick unscheinbare Pflanze subtil vergegenwärtigt: Der Legende nach verwandelt die in den schönen Jüngling verliebte Venus, als Aphrodites römische Entsprechung, das Blut des sterbenden Adonis in eine Anemone, ein Wind- oder eben Adonisröschen. Das vorliegende Motiv baut nicht wie andere Darstellun- gen der gleichen Szene auf Dynamik, Dramatik und Spannung, indem sie das Ringen zwischen Venus und Adonis abbildet. Dem Künstler scheint es vielmehr darum gegangen zu sein, das nicht aufzuhaltende tragische Geschehen zu mildern und die beiden na- hezu nackten Körper in eine versöhnliche Stimmung zu versetzen. Jacob Jordaens, 1593 in Antwerpen geboren und 1678 ebenda gestorben, galt neben Peter Paul Rubens und Anthonis van Dyck als wichtigster Vertreter der «Antwerpener Schule», ab 1615 war er Meister der namhaften St. Lukas-Gilde. Die mythisch und erotisch aufgeladene Beziehung von Venus und Adonis reiz- te vor ihm schon andere Meister, etwa Tizian, dessen berühmteste Darstellung dieses Liebespaares im Pra- do hängt, oder dessen Zeitgenosse Paolo Veronese. Werke des Letzteren dürften Jordaens vertraut ge- wesen sein durch seine enge Beziehung zu Königin Christina von Schweden. Deren Kunstsammlung mit einer Venus-Adonis-Darstellung des Veronese befand sich einige Zeit nach Christinas Flucht aus Schweden in Antwerpen und sie beauftragte Jordaens mit der Ausführung von Deckengemälden. Während das Ve- ronese-Bild von 1570 aus der königlichen Sammlung als verschollen gilt, wird eine von Jordaens ausgeführte Zeichnung eben dieses Gemäldes im Louvre aufbe- wahrt. Gerard van Honthorst, herausragender Kopf der Utrechter Malerschule des 17. Jahrhunderts, verweist mit seiner in dramatisches Licht gesetzten Darstel- lung der Maria Magdalena (Abb. 3) auf sein grosses italienisches Vorbild Caravaggio. Virtuos gemalte Ker- zenschein-Motive wie dieses erregten bereits früh das Interesse der etablierten Sammler, etwa der Me- dici-Regenten. Die Italiener sahen in «Gherardo della notte», der ein Jahrzehnt in Rom lebte und arbeitete, einen Seelenverwandten. Er gab prägende künstle- rische Impulse und die Motivwelt des Südens in den Norden weiter und wurde dank seiner ausgepräg- ten ‹Italianità› selbst zu einer Leitfigur für die nach­ folgende Generation. 1 2 Vorschau auf die Auktion Gemälde Alter Meister vom 25. September 2020 Die Kunst der Verwandlung 1 Pieter Claesz. (1597–um1660) und Roelof Koets (1592–1655). Bankett-Stillleben. 88 × 122 cm. Schätzung: CHF 80 000/120 000 2 Cornelis (1631–1695) und David Cornelisz. de Heem (1663–1701). Blumenstillleben. Öl auf Leinwand. 50 × 40 cm. Schätzung: CHF 120 000/150 000 3 Gerard van Honthorst (1592–1656). Maria Magdalena. Um 1625. Öl auf Holz. 73,5 × 58 cm. Schätzung: CHF 150 000/250 000

RkJQdWJsaXNoZXIy MTU2