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Vorschau auf die Auktion Gemälde Alter Meister vom 31. März 2023 Cranach: Erneuerer in bewegten Zeiten FÜR WEITERE INFORMATIONEN GEMÄLDE ALTER MEISTER Karoline Weser weser@kollerauktionen.ch ONLINE-KATALOGE www.kollerauktionen.ch Der 1472 geborene Lucas Cranach wächst hinein in eine bedeutende historische Epoche. In den Jahren um 1500 erlebt er den aufkommenden Humanismus und wird ihn durch seine eigene Kunst, sein neues Menschenbild mitprägen. Cranach zählte zu den be- deutendsten Künstlern seiner Zeit, er stand unter anderem mit Albrecht Dürer, Philipp Melanchton und später auch Tizian im Austausch. Nach seinen Anfän- gen im damaligen kulturellen Zentrum Wien mit dem Kaiserhof Maximilians I. wird die sächsisch-anhaltini- sche Stadt Wittenberg zum Schauplatz seines künst- lerischen Schaffens in den reifen Jahren. Dort steht er ab 1505 im Dienst des sächsischen Kurfürsten Friedrich III. und bleibt auch Hofmaler unter dessen Nachfolgern – Johann dem Beständigen und Herzog Johann Friedrich dem Grossmütigen. In jenen Jahr- zehnten entsteht nicht nur eine florierende Werk- statt, sondern auch die enge Freundschaft zu seinem Weggefährten Martin Luther. Dessen öffentliches Bild wird ganz entscheidend von den Porträtdarstellungen Lucas Cranachs d. Ä. geprägt. So, wie Luther für die Reformation des Glaubens steht, gilt Cranach als Er- neurer des Bildes. Der in unserer März-Auktion angebotene Cranach- Altar ist eine Rarität, es dürfte eines der letzten erhal- tenenAltarwerkeder deutschenRenaissance auf dem Kunstmarkt sein; zuletzt gehandelt wurde es 1972 in Bern. Nach einem halben Jahrhundert in Privatbesitz tauchte dieses monumentale Kunstwerk nun in einer Schweizer Privatsammlung wieder auf. Seine virtuose Detailvielfalt und die bis heute erhaltene leuchtende Farbigkeit heben es auf museale Qualität. Die beidseitig bemalten Flügel des auf die Zeit um 1515 datierten Wandelaltars – mit der äusseren Schauseite für die Werktage und jener im Inneren für die Feiertage – legen die Vermutung nahe, dass die- ses Werk für den liturgischen Gebrauch entstanden ist. Im geschlossenen Zustand, welcher der alltäg- lichen Andacht diente, zeigt Cranachs Komposition Christus als Schmerzensmann und Maria als Schmer- zensmutter (Abb. links). Im Zentrum der Festtagssei- te steht die Verkündigungsszene mit Maria und Gab- riel, die von zwei Heiligendarstellungen flankiert wird: Links sieht man die Heilige Katharina, rechts Barbara – jeweils durch ihre Attribute gekennzeichnet (Abb. 1). Schwert und Rad auf dem Flügel mit dem Katharinen- bildnis verweisen auf das Foltermartyrium der Heili- gen. Der Turm hinter der heiligen Barbara verweist auf deren neunjährige Haft, während der goldene Kelch an ihre Sterbesakramente erinnert. Dieses Figuren- programm und auch die vom Künstler dargestellten Nimbenscheiben sind für Lucas Cranach d. Ä. nicht ungewöhnlich. Katharina als Nothelferin der Kranken und Barbara als Schutzheilige für die Sterbenden ge- hören zur vertrauten Bildwelt jener Epoche. Beide zählen mit den Heiligen Dorothea und Margarethe zu den vier «Virgines capitales». Die Haupttafel der Festtagsansicht zeigt eines der wohl verbreitetsten Motive christlicher Kunst vor allem der Zeit der Renaissance: die im Lukas- Evangelium schriftlich festgehaltene Verkündigung. Erzengel Gabriel teilt Maria mit, sie habe den Sohn Gottes vom Heiligen Geist empfangen und werde ihn gebären: «Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird gross sein und Sohn des Höchsten ge- nannt werden.» Die Darstellung des Geschehens in einem Innenraum – Hortus conclusus – soll auf Marias behütete Jungfräulichkeit verweisen. Cranach selbst greift auf dieses stark katholisch geprägte Motiv eher selten zurück, auch wenn sein Freund Luther die alt- kirchliche Lehre von der Jungfrauengeburt über- nommen hatte. Stilistisch lehnen sich Cranach und seine Werkstatt in dieser Darstellung aus vorrefor- matorischer Zeit an Vorbilder aus Italien an, was sich vor allem in der Ausformung der Figuren und Frisuren spiegelt. Zugleich verweist die Bildanlage mit den auf- wändig detaillierten Stoffen und dem Ausblick in die Landschaft im Hintergrund auf Bezüge zur nieder- ländischen Malerei. Besonderer Erwähnung wert ist die räumliche Ausformung des palastartigen, höfisch erscheinenden Schlafgemachs mit Fliesenboden und Samtbaldachin. 1 3

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