KOLLER VIEW 4/24
pre view. 02 3 Der 2022 im Alter von 92 Jahren verstorbene Schweizer Franz Gertsch lotet mit seinem künstlerischen Schaffen Grenzen aus. Seine seit 1969 entstandenen hyperrealis- tischen Gemälde und Holzschnitte sprengen nicht nur durch ihre extremen Bildformate, sondern auch durch eine bis ins Detail ausgefeilte Mal- und Drucktechnik den Rahmen des Gewohnten. In seinen Schaffensjahren von 1986 bis 1994 konzentriert sich Gertsch auf grossformatige Holzschnitte, experi- mentiert aber auch – wie bei diesem Werk aus unserer November-Auktion – mit verschiedenen Lasurtechniken. Als Bildträger verwendet Gertsch das in traditioneller Technik aus Hanffasern geschöpfte Kumohadamashi- Papier des japanischen Ateliers Heizaburo Iwano, das er 1987 auf einer Reise kennenlernt. Gertschs botanisches Motiv, das charakteristische Blatt- werk der Pestwurz-Pflanze, stammt aus der unmittelba- ren Umgebung seines Ateliers in Rüschegg, wo er von 1976 bis zu seinem Tod arbeitet. Als er sich Anfang der 1990er-Jahre mit dem in der Nähe entspringenden Fluss Schwarzwasser beschäftigt, begegnet er auch der dort heimischen Pflanze. Gertsch ist fasziniert von der grafi- schen Qualität der charakteristischen Blattnervatur, der netzartigen Aderung. Grundlage vieler seiner Motive sind, wie auch hier, eigens angefertigte Fotografien re- spektive Diapositive, die Gertsch rund um seinen Ar- beits- und Wohnort anfertigt. Nachdem Gertsch eines der Pestwurz-Fotomotive als Holzschnitt umgesetzt hat, wechselt er zu einer lasierenden Maltechnik, bleibt aber dem Japanpapier treu. Nach Jahren der Perfektionierung des Holzschnitts sucht er eine neue Herausforderung. Tonal den monochromen Holzschnitten früherer Jahre sehr ähnlich, unterscheidet sich diese Arbeit grundle- gend in der Art ihrer Fertigung. Anstatt die nichtdrucken- den Bildelemente aus der Holzplatte herauszuschneiden, setzt Franz Gertsch in pointillistischer Manier weisse Pigmente auf den dunklen, puderartigen Untergrund, um die Formen und Strukturen der Blätter herauszuarbeiten. Unverkennbar ist der enge Bezug zu Georges Seurats Lehre der optischen Farbmischung aus den 1880er-Jah- ren. Der Künstler kehrt also seine Vorgehensweise um, wobei aber keine Serigrafie, sondern ein Unikat entsteht. Die vorliegende Arbeit, die eine beeindruckende Bildflä- che von fünf Quadratmetern einnimmt, markiert Gertschs Rückkehr vom Farbholzschnitt in kleinen Auflagen zu- rück zur Malerei. Das Motiv der Pestwurz taucht bis zu Gertschs Lebensende immer wieder auf. Seit 2002 wird das Lebenswerk des Künstlers im ihm gewidmeten Franz Gertsch Museum in Burgdorf präsentiert. 1 Franz Gertsch (1930–2022). Pestwurz. 1993/94. Tempera, Kasein und Pastell auf Japan. 276 × 217 cm. Schätzung: CHF 150 000/250 000 Franz Gertsch: Natur im Grossformat Vorschau auf die Auktion PostWar & Contemporary vom 28. November 2024 Für weitere Informationen PostWar & Contemporary Clarisse Doge & Jara Koller doge@kollerauktionen.ch Online-Kataloge www.kollerauktionen.ch
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