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396Maestro dei Corali di San Domenico di Gub-
bio. Gubbio, ca. 1290-1300. 6 Initialen eines
Antiphonars, davon zwei historisierte Initialen
(Initiale I mit dem Evangelisten Johannes,
initiale O mit einer Figur des Sommers) und
4 ornamentale Buchstaben. Pergament, 150 x
45 mm (Initiale I) 70 x 70 mm (Initiale O und
ornamentale Initialen S, R,C, D). Provenienz:
Gubbio, San Domenico, seit 1995 in Schweizer
Privatbesitz.
Vorliegende sechs Initialen waren einst zusam-
men mit einer Initiale T und der Darstellung
der Kirchweih (heute New Yorker Privatbesitz)
noch in Schweizer Privatbesitz und stammen
alle aus dem gleichen Chorbuch. Unschwer zu
erkennen, dass es sich bei diesen Fragmenten
um eine Gruppe von Miniaturen handelt, die
einst zusammen mit unzähligen weiteren in Pri-
vatbesitz (u. a. - ehemals, New York, Sammlung
Robert Lehman) und in verschiedenen Museen
befindlichen Elementen (Philadelphia, Free
Library M 32:8, Nürnberg, Germanisches Na-
tional Museum) aus den verschiedenen Bänden
der ca. 1290-1300 illuminierten Chorbuchserie
aus San Domenico in Gubbio stammen. Diese
heute noch bestehenden, im Archivio di Stato
von Gubbio aufbewahrten liturgischen Bände,
sind zu Beginn des 19. Jahrhunderts arg dezi-
miert worden, als man unzählige, mindesten 50
Inizialen herausschnitt und ganze Buchseiten
entfernte, um so einer wachsende Nachfrage
des Kunstmarktes entgegenzukommen. Die
Bildinitiale I mit dem Evangelisten Johannes
dürfte mit einiger Sicherheit aus dem ersten
Antiphonarband mit den liturgischen Gesängen
für die Adventszeit bis zur Epiphanie herausge-
schnitten worden sein, und dürfte möglicherwei-
se die Vesper Antiphon für das Fest eben dieses
Heiligen „In medio ecclesiae aperuit os ejus...“,
eingeleitet haben.
Der Buchmaler vorliegender Initialen, der
sogenante Meister der Chorbücher von San
Domenico in Gubbio, konnte bereits 1929
erstmals von Giorgio Castelfranco (1929) isoliert
werden. Sein Urteil, das den Künstler in einen
unmittelbaren Zusammenhang mit dem um
1300 tätighen bolognesischen Buchmaler, dem
Meister von Sant‘ Agnese in Val di Pietra,
brachte, hat noch heute Geltung. Nach wie vor
bleibt allerdings die Frage offen, ob es sich hier
um einen umbrischen, bolognesisch geschulten
und für Gubbio tätigen Meister handelt, oder ob
dieser aus Bologna stammt und die Chorbücher
ebendort für das Dominikaner Haus in Gubbio
illuminiert hat (Pia Palladino 2003).
Literatur: unveröffentlicht
Zitierte Literatur: Giorgio Castelfranco, I corali
miniati di San Domenico dim Gubbio, in: Bol-
letino d‘ Arte 1929, S. 529-555; Pia Palladino,
Treasures of a Lost Art. Italian Manuscript
Painting of the Middle Ages and Renaissance,
exh. cat. Cleveland/San Francisco/New York
2003, S. 13-15.
CHF 1 500 / 2 500
EUR 1 390 / 2 310
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