

(Paris 1911 - 2010 New York)
Girl with hair. 2007-2009.
Archival dyes auf Seidentaft. 1/12. Unten
rechts gestickt monogrammiert: LB, sowie
verso nummeriert: No. 1/12 und bezeich-
net: BOUR-13383. Masse 58,5 x 38 cm.
Literatur: Online-Katalog des Museum of
Modern Art, Kat. Nr. 237.1.
„Die Leute, die ich ammeisten bewundere
interessieren sich für das Porträtieren,
das symbolische und wiedererkennbare
einzigartige Wesen einer Person. Ich,
andererseits, interessiere mich für das
Porträtieren einer Beziehung, wie eine
Beziehung verflochten sein kann, für den
Einfluß, den die Leute aufeinander haben.“
(zit. Louise Bourgeois, in: Crone, Rainer/
Graf Schaesberg, Peter: Louise Bourgeois.
Das Geheimnis der Zelle, München, 1998,
S. 49)
Wild, unbändig und schutzlos tritt „Girl
with Hair“ dem Betrachter gegenüber.
Die wilden, zu Berge stehenden Haare
rahmen das anonyme Gesicht sowie den
nackten Körper einer Frau ein. Nichts an
diesem Bild zeigt Zurückhaltung: nicht die
aggressive rote Farbe, nicht die fließende,
spontane Linienführung, nicht die blattfül-
lende Komposition, nicht das schutzlose
Mädchen. Die dargestellte junge Frau
tritt somit direkt mit dem Betrachter in
eine Beziehung, lässt ihn nicht mehr los,
verfolgt ihn mit ihrem augenlosen Blick. Es
wirft die Frage auf nach demWas? Warum?
Wer? Der Betrachter befindet sich sofort
imDialog mit dem Bild, es sei denn er
blockt es reflexartig in Selbstschutz ab.
Aber auch das ist eine Form der Reaktion,
der Kommunikation mit demDargestell-
ten.
Louise Bourgeois, eine der bedeutendsten
und einflussreichsten Bildhauerin des 20.
Jahrhunderts, vereint in „Girl with Hair“
einige ihrer zentralen Themen. Es sind
menschliche Grundthemen wie Geburt
und Tod, Angst und Liebe, der menschli-
che Körper und Sexualität. Daher sind ihre
Werke intuitiv verständlich, wenngleich
sie durch ihre Vielschichtigkeit rätselhaft
bleiben. Die zur Schau gestellte, verletz-
liche Weiblichkeit kombiniert mit einer
Farbe, die in ihrem Rotton und ihrer Ver-
schwommenheit die Assoziation mit Blut
entstehen lässt, sowie die an Spinnenbei-
ne erinnernden Haare ermöglichen eine
Deutungsvielfalt, die die volle Dimension
dieses Bildes nur schwer erfassbar macht.
Gleichzeitig berühren die symbolhaften
Elemente den Betrachter auf sehr emoti-
onale Weise, rütteln ihn wach: „Mein Werk
beunruhigt den Betrachter, aber niemand
will gestört werden.“ (ebenda, S.11)
Louise Bourgeois wird 1911 in Paris gebo-
ren und zieht 1938 mit ihrem Ehemann,
dem amerikanischen Kunsthistoriker
Robert Goldwater, nach New York. In den
1920er Jahren nimmt sie in Paris bereits
Zeichenunterricht, schreibt sich aber
zunächst an der Sorbonne für Philosophie
und Mathematik ein, bevor sie sich zum
Kunststudium entschließt. Erst 1982, mit
77 Jahren, erlangt sie durch ihre erste gro-
ße Retrospektive imMuseum of Modern
Art, New York, künstlerische Anerkennung.
Breite internationale Aufmerksamkeit
erlangt Bourgeois durch ihre Teilnahme an
der documenta 9 im Jahr 1992 sowie an
der Biennale in Venedig 1993. Heute zählt
sie zu den international renommiertesten
Künstlerinnen und wird in zahlreichen be-
deutenden Einzelausstellungen weltweit
gewürdigt. Louise Bourgeois verstirbt
2010 in New York.
CHF 50 000 / 70 000
(€ 46 300 / 64 810)
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