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13 Auktion Decorative Arts vom 26. März 2020 Symbol einer ganzen Epoche Kopernikus, Galilei, Keppler, Newton – eine ganze Reihe von bedeutendenWissenschaftlern hat sich über Jahr- hunderte hinweg der Erforschung der astronomischen Zusammenhänge und Gesetzmässigkeiten unseres Sonnensystems gewidmet. Ein wichtiger Teil ihrer Un- tersuchungen galt demNachweis, dass die Erde Teil ei- nes heliozentrischen Sonnensystems ist und dass das geozentrische Weltbild der Kirche überholt ist. Dass solche Überlegungen an den Grundfesten ihrer Zeit rüttelten, steht ausser Frage, im Inquisitionsverfahren gegen Galileo Galilei erreichte dieser Konflikt zwischen Naturwissenschaft und Kirche seinen Tiefpunkt. Umso interessanter erscheint es, die materiellen Zeugnisse dieser Revolution in den Blick zu fassen. So zeigt sich die im März zum Aufruf kommende astronomische Tischuhr als ein beredtes Beispiel für die Materialisie- rung der aufklärerischen Theorien im bürgerlichen Alltag und Interieur. Die um 1820 äusserst aufwändig gearbeitete Tisch- uhr diente vor allem der eindrücklichen Visualisierung sehr langsamer Bewegungen von Himmelskörpern am Firmament. Im Zentrum der präzise abgestimmten Konstruktion, die die eigentliche Uhr bekrönt, steht die Sonne, um die sich im Laufe eines Jahres eine email- lierte Erdkugel bewegt. Diese wiederum dreht sich in- nerhalb von 24 Stunden einmal um ihre eigene Achse und wird ihrerseits in 29,5 Tagen von einer emaillierten Mondkugel umkreist. Auf diese Weise wird das astro- nomische Zusammenspiel eines Sterns, eines Plane- ten und seines Mondes anschaulich, ja fast schon di- daktisch präzise vorgeführt. Der Chronometer, der die Stunde schlägt, wird auf diese Weise in enge und sinn- fällige Verbindung gesetzt zu jenem übergeordneten System, das für den Tages-, Monats- und Jahreslauf verantwortlich ist. Nicht zuletzt verweisen die zwölf in die Uhr integrierten Email-Kartuschen mit den darauf abgebildeten Tierkreiszeichen auf weitere komplexe astronomische Zusammenhänge. EIN GESCHÄTZTER MEISTER Der Schweizer Uhrmacher François Ducommun (1763–1839), genannt Boudry, entstammte einer international renommierten Uhrmacherfamilie aus La Chaux-de-Fonds, die schon in den Generationen zuvor für Furore sorgte: Bereits sein Vater, Abram Ducom- mun (1723–1797), war als Uhrmachermeister tätig und hatte sich auf die Anfertigung von Planetarien speziali- siert. DucommunsGrossvatermütterlicherseits, Josué Robert (1691–1771), war Königlicher Hofuhrmacher des Preussischen Königs Friedrich Wilhelm I. François Ducommuns Kreationen erfreuten sich auf- grund ihrer ästhetischen Eleganz in Verbindung mit feinsten technischen Komplikationen grosser Beliebt- heit. Als begabter Handwerker stellte er ausserdem eigene Präzisionswerkzeuge für Uhrmacher her und beförderte auf diese Weise seine erfindungsreiche Branche. Darüber hinaus stellte er Barometer, Kom- passe, metrische Skalen, Graphometer, Wasserwaa- gen, Pantographen, Sextanten, Thermometer und anderes wissenschaftliches Zubehör her. Seine beein- druckendste Errungenschaft ist sicherlich die grosse Planetenuhr, die 1817 fertiggestellt wurde und heute in La Chaux-de-Fonds zu sehen ist. Der dort zum Ein- satz kommende Mechanismus präsentiert einen ewi- gen Kalender und unser Planetensystem – so wie es zu Beginn des 19. Jahrhunderts bekannt war. Daneben entstand eine Serie von «Kopernikanischen Pendulen», aus der auch die hier gezeigte stammt. Ein ähnliches Modell dieser astronomischen Stutzuhr, jedoch mit einem Messinggehäuse ausgestattet, befindet sich im Uhrenmuseum Beyer in Zürich. Drei der neun heu- te bekannten Tischuhren dieser Serie befinden sich in der Sammlung des Musée international d’horlogerie in la Chaux-de-Fonds, wovon besonders eine mit Alabas- tergehäuse bis auf kleinere abweichende Details iden- tisch ist mit der hier angebotenen. Ein besonders seltenes und zugleich aufschlussreiches historisches Dokument ist das Bildnis des Uhrmachers François Ducommun (Abb. 2), auf dem er mit einer sei- ner Schöpfungen zu sehen ist. Dieses um 1820/30 ent- standene Porträtgemälde aus dem Bestand des Musée international d’horlogerie in La Chaux-de-Fonds belegt nicht nur den Rang von Ducommun, sondern zugleich die gesellschaftliche Stellung der ganzen Uhrmacher- zunft in jener Epoche. Hinter den extraordinären Chro- nometern standen keine anonymen Handwerker, son- dern im In- und Ausland hochgeschätzte Meister, die in ihren renommierten Manufakturen komplexe Ingenieur- technik und exzellente Gestaltung auf höchstemNiveau in Einklang zu bringen vermochten. Der legendäre Ruf der Schweizer Uhrenindustrie fusst also auch auf Ex- ponenten aus der Zeit um1800 – wie den Ducommuns. FÜR WEITERE INFORMATIONEN MÖBEL Stephan Koller skoller@kollerauktionen.ch ONLINE-KATALOGE www.kollerauktionen.ch 1 Astronomische Tischuhr «Copernic». Schweiz, um 1820. F. Ducommun à La Chaux de Fonds. H 42 cm. Schätzung: CHF 120 000/200 000 2 Anonym. Porträt von François Ducommun mit Astronomischer Tischuhr. Öl auf Leinwand. ©Musée international d'horlogerie (MIH), La Chaux-de-Fonds 1 2

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