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3 Auktion Decorative Arts vom 26. März 2020 Preziose aus Limoges Limoges schreibt sich mit bedeutender Handwerks- kunst in die Kunstgeschichte ein: Die hier gefertigten Reliquienschreine, ausgeführt in «Limosiner Email», zählten zum Besten und Wertvollsten, was Gold- schmiede und Emailleure in jener Epoche herzustellen vermochten. Die alte Bischofsstadt Limoges war seit dem 12. Jahrhundert das unbestrittene Zentrum die- ser aufwändigen Handwerkskunst. Hergestellt wurden kleinformatige Schreine und Kästchen, die der Aufbe- wahrung von Reliquien dienten. Reliquiare aus Limo- ges wie das hier gezeigte (Abb. 1) blieben über Jahr- hunderte hinweg stilprägend; noch im 19. Jahrhundert fertigte man Repliken im Stil des 13. Jahrhunderts an. Die christliche Reliquienverehrung, erstmals erwähnt bereits in der Apostelgeschichte, basiert auf der An- nahme der Unvergänglichkeit des heiligen Leibes Christi und dem Glauben an besondere Kräfte der Überreste von Märtyrern und Heiligen – überliefert in sogenannten Mirakelberichten, die viel von der Religiosität und den Heilsvorstellungen jener Epo- che vermitteln. Reliquienverehrungen sind seit dem 2. Jahrhundert nachgewiesen; seit dem8. Jahrhundert war die Kirche bestrebt, jeden Altar mit einer Reliquie auszustatten. Reliquiare dienten dabei der Aufbe- wahrung von verehrungswürdigen Heiligtümern, etwa Gebeinen oder Knochensplittern von Heiligen oder beispielsweise Textilfragmenten, denen einen Ver- gangenheit in religiösem Kontext nachgesagt wurde. Reliquienkästchen aus der ersten Hälfte des 13. Jahr- hunderts wie das hier angebotene könnten der Auf- bewahrung von Knochenresten eines Heiligen oder von Holzsplittern des Kreuzes gedient haben. Nach der Eroberung Konstantinopels während des Vier- ten Kreuzzugs im Jahr 1204 wurden winzige Splitter des Kreuzes als verehrungswürdige Reliquien in ganz Europa verteilt. So entstanden Kreuzreliquiare. Da- neben kannte man sprechende Reliquiare, bei denen das Körperteil, aus dem die Reliquie stammte, die äussere Form des Reliquiars bestimmte, oder Ost- ensorien und später Monstranzen, bei denen Reli- quien respektive konsekrierte Hostien hinter Glas sichtbar sind. Bis heute haben sich Sonderformen der Reliquienverehrung erhalten, etwa Prozessio- nen oder Wallfahrten, bei denen Reliquien im Mittel- punkt oft aufwändig inszenierter Zeremonien stehen. Das Reliquienkästchen der März-Auktion zeigt auf dem als Giebeldach geformten Deckel bildliche Darstellun- gen der Marienlegende: die Verkündigung durch den Engel, Christi Geburt und die Flucht nach Ägypten. Der aufklappbare Deckel ist bekrönt von fünf kleinen Auf- satzkugeln, zwei davon sind in Bergkristall ausgeführt, die mittlere ist um ein Kreuz ergänzt. Die Seitenwände des Kästchens zeigen Engelsbüsten in kreisförmigen Medaillons, umgeben von stilisiertem Rankwerk. Aus- geführt ist das überaus dekorative Objekt in farbigem Champlevé-Email. Bei diesem Verfahren füllt flüssiges Email – hier in den Farben Lapislazuli-Blau, Weiss und Rot – Vertiefungen aus, die zuvor in das feuervergolde- te Kupfer des Trägermaterials eingebracht («chample- viert») wurden. Auf diese Weise bilden Grubenschmelz und Metall eine gemeinsame Bildebene. Email-Farben bestehen aus dem Fondant, einer farblose Glasmas- se, die durch Beimischung verschiedener Metalloxy- de ihre Färbungen erhält; so entsteht das undurch- sichtige weisse Email durch Beigabe von Zinnoxyd. Das im März angebotene Reliquiar zählte einst zur umfangreichen Kunstsammlung des dänischen Film- produze nten Ole Olsen (1863–1943) in Kopen hagen. Olsen gr ündete 1906 die Nordisk Film A/S, he ute die älteste b estehende Filmproduktionsgesellsch aft der Welt. 1 Email-Reliquienkästchen. Gotisch, Limoges, 2. Hälfte 13. Jh. 20,5 × 8 × 15,5 cm. Schätzung: CHF 70 000/120 000 2 Dritter Bessarion-Meister. Blatt aus einem Gradual mit Bildinitiale B. Bologna, Ferrara 1455–60. Schätzung: CHF 25 000/35 000 (Buchmalerei, Auktion 23. März 2020) 1 FÜR WEITERE INFORMATIONEN MÖBEL Stephan Koller skoller@kollerauktionen.ch ONLINE-KATALOGE www.kollerauktionen.ch 2

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