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Abb. 2: Bruno Giacometti vor demFlimser Panorama nach dessenWierderentdeckung 1987
Im Winter 1903/04 malte Giovanni Giaco-
metti im Auftrag der Direktion des 1877
eröffneten Kurhaus Waldhaus in Flims ein
dreiteiliges Gemälde, das die landschaft-
lichen Schönheiten rund um Flims feiern
sollte.
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Am 10. November schreibt er sei-
nemFreund Cuno Amiet: «[...] Musste dann
Ende September nach Flims im Oberland
(Bündner-) verreisen des Geschäfts we-
gen. Ich habe dort ein Auftrag bekommen,
der uns wieder ein wenig auf die Füsse hilft.
Für ein grosses Etablissement muss ich
ein grosses Bild malen (2 met x 2 met) und
zwei kleinere die auf eine Wand des Caffé-
Restaurant kommen; Landschaft mit den
entsprechenden Hotels darin natürlich, die
gleichzeitig als Reclame dienen sollen und
als Placat reproduciert werden.»
2
Das Tri-
ptychon, zu dem sich drei Aquarellstudien
erhalten (Los Nr. 3058, 3059 und 3060) ha-
ben, war für das «Caffébillard» des Kurhau-
ses bestimmt und sollte auch Grundlage
für ein Plakat und Postkarten bilden. Ende
September berichtet der Künstler seiner
in Borgonovo gebliebenen Frau Anetta von
Wanderungen rund um Flims auf der Suche
nach geeigneten Standorten (Abb. 1) und
erwähnt, dass er der Hoteldirektion drei
Entwürfe vorlegen wolle.
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Der ausgewählte
Entwurf zeigt imgrossenMittelteil den Blick
von einer Anhöhe oberhalb Flims Richtung
Süd-Südwesten auf das Ensemble der
Hotelbauten im Mittelgrund, während die
kleineren hochformatigen Seitenteile den
Caumasee links mit Blick gegen Nordwes-
ten und rechts mit dem Badehäuschen
unter der eindrücklichen Wand des «Flim-
sersteins» zeigen. Das Landschaftsvorbild
ist in den seitlichen Teilen stärker abstra-
hiert als im mittleren Teil, der mit seiner
präzisen und detailreichen Umsetzung der
Topographie – bis zu den eindeutig identifi-
zierbaren Gipfeln des eindrücklichen Pano-
ramas – die paradiesische Landschaftsku-
lisse ins Zentrum rückt.
Auf einer blütenbestandenen Anhöhe am
Nordhang von Flims, das mit seinen weis-
sen Mauern und roten Dächern mit dem
Gelbgrün der Wiesen und Dunkelgrün
der Tannen kontrastiert und zu dem rote
Felsbrocken links im Vordergrund ein Ge-
gengewicht bilden, schweift der Blick beim
grossen zentralen Gemälde hinunter über
von Tannengruppen belebte Matten auf
die Kuppe im Mittelgrund, wo das Kurhaus
Waldhaus und rechts davon das 1904 er-
öffnete Casino zu erkennen sind. Von da
geht der Blick über einer Senke im Wald-
gürtel Richtung Falera, wo der Künstler mit
einem weissen Tupfen die Remigiuskirche
amRande einer Tannengruppe angedeutet
hat. Am Südhorizont leuchten die schnee-
bedeckten Gipfel, beginnend links mit dem
Crap Grisch zwischen dem Safien- und
dem Valsertal, gefolgt gegen Westen vom
Fanelhorn, Piz Serenastga, Piz Aul und Piz
Ferri, Piz Canal, Piz Tgietschen, Piz Cavel
und Piz Gren.
Der bogenförmige, von einer mächtigen
Wolke markierte Abschluss des Firma-
ments betont den panoramaartigen Weit-
blick. Häuser und Wälder zeichnen ein
buntscheckiges Muster auf die gelbgrün
und rötlichen Wiesen und Hänge. Dabei
sind die Formen nicht flächig und mono-
chrom, sondern durch die divisionistische
Stricheltechnik belebt. An manchen Stel-
len, wie bei den rötlichen Hängen am linken
und rechten Bildrand oder an den farblich
komplementären Strukturen imWaldgürtel
in der Bildmitte ist das Vorbild Giovanni Se-
gantini noch zu erkennen. Nach dem Tode