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SCHREIBTISCH „EN ROGNON“,Louis XVI, St. Petersburg um 1785/90.
Mahagoni, Birke und heimische Fruchthölzer gefriest sowie ausserordent-
lich fein eingelegt mit Blumen, Blättern, Kartuschen, Filets und Zierfries.
Nierenförmiges, wenig vorstehendes und in profiliertem Messingstab
gefasstes Blatt auf gerader Zarge mit feinen, leicht kannelierten und
polygonalen Säulenbeinen. Front mit Zentralschublade, flankiert von je 1
gebauchten Schublade. Feine, vergoldete Bronzebeschläge und -sabots.
Das Zwischentablar bei der Vollendung entfernt. 109x66x72 cm.
Provenienz: Aus einer europäischen Sammlung.
Der hier angebotene Schreibtisch wird 2016 publiziert in: T. Semenova et
al., Russian Furniture of the XVIII century in the Ermitage Collection, St.
Petersburg 2016.
Dieser ausserordentlich feine Schreibtisch weist die typischen Merkmale
höfischer Möbel auf, welche die für Zarenfamilie tätigen Ebenisten in St.
Petersburg auszeichneten: die originelle Formgebung „en rognon“, die sehr
delikate Blumenmarketerie und die feinen Bronzeapplikationen. Es sind
einige Möbel bekannt, deren Inventarnummern darauf hinweisen, dass sie
aus dem Winterpalast in St. Petersburg stammen und die eine ähnliche
Formgebung und Marketerie wie der hier angebotene Schreibtisch aufwei-
sen. Ein vergleichbarer Tisch, der dem Ebenisten C. Meyer zugeschrieben
wird und sich heute in den Sammlungen der Ermitage befindet, ist abgebil-
det in: T. Semenova, Museumskatalog der Ermitage, 2009; Abb. 1-3).
Ein weiterer, etwas einfacher gestalteter Schreibtisch ist abgebildet in: A.
Chenevière, Splendeurs du mobilier russe, Paris 1989; S. 41 (Abb. 25). Die
nahezu identische Form der Beine findet sich an einem ebenfalls C. Meyer
zugeschriebenen Tisch, der zu den Sammlungen von Pavlowsk gehört und
abgebildet ist in: Ebd., S. 103 (Abb. 84). Identische Beine besitzt auch ein
Spieltisch aus der Sammlung der Fürstin Josephine Potocki (1752-1798),
der bei Sotheby‘s London am 12.6.2002 (Katalognr. 374) verkauft wurde.
Weitere ähnliche Tische wurden bei Sotheby‘s New York am 3.11.1989
(Katalognr. 144) verkauft, bei Sotheby‘s New York am 7.6.1991 (Katalognr.
98), bei Christie‘s New York am 18.11.1999 (Katalognr. 640) und bei Chris-
tie‘s London am 22.6.1989 (Katalognr. 77). Mehrere dekorative und kon-
struktionstechnische Elemente deuten auf einen russischen Hersteller hin
und zeigen zugleich den Einfluss französischer und englischer Entwürfe auf
Werke des Zarenhofes. Die Vorbilder dieser Möbel waren sowohl direkte
Käufe des Hofes in London und Paris wie auch Käufe der Aristokraten
auf Reisen in Westeuropa, aber vor allem auch zeichnerische Vorlagen der
berühmtesten Entwerfer der Epoche. Die Kataloge von Delafosse, Neuf-
forge, Percier et Fontaine, Chippendale, Sheraton, Hope, Grossmann,
Scheich usw. erfreuten sich grösster Beliebtheit und finden in der typisch
russischen Adaption ihre kongeniale Weiterentwicklung. Diese Kataloge -
mit Titeln wie „Receuil de décorations intérieurs“, „Journal des Luxus und
der Moden“, „Magazin für Freunde des guten Geschmacks“, „Magazzino
di mobili e modelli di mobili di ogni genere“ - richteten sich nicht nur an
Spezialisten, sondern auch an die potente Käuferschicht, die ihre Wünsche
und Vorstellungen von „richesse d‘effet“ den Ebenisten, Architekten und
Entwerfern mitteilten. Dies ist deshalb von grosser Bedeutung, weil sich
damit die schier endlos erscheinende Formenvielfalt russischer Hofmöbel
erklären lässt - und die Tatsache, dass im ausgehenden 18. Jahrhundert
historisch verschiedene Stilrichtungen und Formensprachen in Russland
zur gleichen Zeit gefertigt und kombiniert wurden.
CHF 40 000 / 60 000
EUR 37 000 / 55 600
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