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PostWar & Contemporary
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KAZUO SHIRAGA(1924 Amagasaki/Japan 2008)
Ohne Titel. 1961.
Öl auf Leinwand.
Unten rechts in Japanisch signiert: Shira-
ga, sowie auf der Rückseite signiert und
datiert: Kazuo Shiraga 1961.
24,4 x 34,3 cm.
Provenienz:
- Tokyo Gallery, Japan.
- Dort erworben von „Estate 11 East 86th
NYC“.
- Europäische Privatsammlung.
Nach 200 Jahren der selbstgewählten
Isolation, sowohl politisch als auch, in der
Konsequenz, kulturell, öffnet sich Japan
imVerlauf des 19. Jahrhunderts wieder
demWesten. Für die Kunst des Landes
bedeutet dies die Auseinandersetzung
mit der westlichen Kunst, die vollkommen
unbekannt und auch so völlig anders als
die japanische Kunsttradition ist. Zunächst
führt diese kulturelle Öffnung zur, für Ja-
pan typischen und nicht negativ belaste-
ten, Nachahmung westlicher Kunst. Erst
nach demZweiten Weltkrieg fordert der
Künstler Yoshihara Jiro die Eigenständig-
keit japanischer, zeitgenössischer Kunst.
Eng verbunden mit dieser Forderung sind
zum einen die Aufforderung, etwas zu
schaffen, was es nie gab und zudem keine
Nachahmung mehr anzufertigen.
Vor diesemHintergrund gründet er 1954
in Osaka die Künstlergruppe GUTAI, was
soviel wie konkret im Sinne von „spon-
tan, direkt, bezogen auf die Fähigkeit, die
eigenen Gedanken, Gefühle unreflek-
tiert und unvermittelt auszudrücken“
heisst (zit. Barbara Bertozzi, in: Ausst.Kat.
Gutai: japanische Avantgarde = Japanese
Avant-Garde 1954-1965, Mathildenhöhe
Darmstadt, 24. März – 5. Mai 1991, S. 20).
Das erste Projekt, mit dem die Gruppe an
die Öffentlichkeit tritt, ist eine Freilicht-
ausstellung, was an sich schon revolutio-
när gewesen ist. Aber auch die Kunst ist
zukunftsweisend und hat Anlehnungen an
die DADA Bewegung: es gibt Happenings,
Performances, die Zuschauer werden
Teil der Kunstwerke, und die Natur wird
ebenfalls mit einbezogen. Alles geschieht
spontan, auf eine fast spielerische Weise,
ohne jegliches Konzept, was imGegensatz
zur strengen, hierarchischen Gesellschaft
Japans steht.
Die gegenseitige Beeinflussung von west-
licher und östlicher Kunst ist immanent:
das von den GUTAI Künstlern verwendete
Material findet sich auch später bei Piero
Manzoni und der Arte Povera wieder. Die
pastose, dynamische und abstrakte Mal-
weise zeigt die engen Beziehungen zum
europäischen Informel und dem amerika-
nischen Abstract Expressionism. Ob-
wohl der massgebliche Kunstkritiker des
Informel Michel Tapié grossen Einfluss auf
die Gruppe gehabt hat und durch zahlrei-
che Besuche, u.a. mit Georges Mathieu, in
engem Kontakt gestanden ist, ist doch der
Amerikaner Jackson Pollock die wichtigste
Bezugsperson für die GUTAI gewesen. Mit
zunehmender Internationalität nehmen
die experimentellen Techniken, Happe-
nings, etc. zugunsten der Ölmalerei ab
– die Anforderung des Kunstmarktes mit
zahlreichen Ausstellungen, auch in Europa
fordert, Kompromisse ein, was gleichzei-
tig zu einer gewissen Einschränkung der
Kreativität führt. Mit der Aufnahme neuer
Künstler 1965 beginnt eine weitere Perio-
de der GUTAI.
Einer der bekanntesten Künstler der
ersten Generation ist Kazuo Shiraga, der
1955 der Gruppe offiziell beitritt. In seinen
frühen Happenings treibt er das Action-
Painting Jackson Pollocks auf die Spitze, in
dem er mit den Füssen malt bzw. sich an
Bändern aufhängt, um dann mit Schwung
über die Leinwand zu segeln und mit den
Füssen zu malen.
Auf dem vorliegenden, kleinformatigen
Werk sieht man auf den ersten Blick die
unglaubliche Energie, mit der Shiraga
seine Gemälde erschafft. Die vereinzelten,
pastosen Flächen zeigen die Dynamik des
Werkes, aber auch den expressiven, freien
Entstehungsprozess des Gemäldes. Sie
scheinen sich fast von der Leinwand mit
den nur vereinzelten, fast aquarellartigen
Farbflächen zu erheben. Die Farbe der
Leinwand wird in die Komposition mit
einbezogen. Rot dominiert das Werk, wird
aber durch Schwarz und Blau zu einer
dichten Komposition zusammengefügt.
CHF 70 000 / 100 000
(€ 64 810 / 92 590)