Previous Page  10 / 29 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 10 / 29 Next Page
Page Background

| 130

517

Mendelssohn-Bartholdy, Felix, Komponist

(1809-1847). Eigenhändiges Musikmanuskript:

Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach.

Daraus:

- Aria und Chor „Ach, wo ist mein Jesus hin“

(BWV 244/36)

- Recitativo „Du lieber Heiland du!“ (BWV

244/9)

- Aria „Buss und Reu“ (BWV 244/10)

Klavierauszug mit Text. Quellendorf bei Dessau,

(Frühjahr 1830, vor dem 21. Mai). Folio. 6 ½

Seiten (etwas stockfleckig, die ersten beiden

Blätter mit Faltspuren). In einem etwas späteren

Karton, behutsam restauriert.

Bisher unbekannt gebliebenes Musikmanuskript

des jungen Mendelssohn, einziges Autograph

Mendelssohns zur Matthäuspassion. - Nach den

handschriftlichen Aufzeichnungen im Innende-

ckel des Einbandes schrieb Mendelssohn die bei-

den Arien und das Recitativ für Agnes Schubring

auf, der Schwester seines Freundes und späteren

Librettisten Julius Schubring, und zwar anlässlich

eines Besuches in deren Haus in Quellendorf bei

Dessau. – Mendelssohn hatte nach überstande-

ner Masern-Krankheit im Frühjahr 1830 Berlin

verlassen und sich auf eine Reise gemacht, die

ihn nach Italien, in die Schweiz, nach Frankreich

und später nach England führen sollte (siehe

Reisebriefe). Zu Beginn der Fahrt besuchte er für

einige Tage Julius Schubring und dessen Familie

in Dessau (und zwar vor dem 21. Mai 1830, denn

an diesem Tag weilte er schon in Weimar; siehe

„Reisebriefe“). Am dritten Besuchstag fuhren

Sie gemeinsam „über Land“ zu Julius’ Schwester,

„die Felix kennenlernen wollte.“ (J. Schubring.

Erinnerungen an Felix Mendelssohn Barthol-

dy. In: Daheim, März 1866, S. 375). Am 3. Juli

1830 schrieb Schubring in einem Brief an Felix:

„Mir hast Du eine grosse Freude gemacht durch

Deinen hiesigen Besuch. Die Tage selbst waren

hübsch für mich; und dann bin ich immer froh,

wenn ich Menschen, die ich lieb habe, mitein-

ander bekannt machen kann, und wenn es mir

glückt (...), dass sie wirklich einander etwas näher

kommen.“ (Briefwechsel zwischen Felix Men-

delssohn Bartholdy und Julius Schubring, Leipzig

1892, S. 4f.) – Julius Schubring war neben dem

Sänger Devrient eine derjenigen Persönlichkeiten

in Mendelssohns Freundes- und Bekanntenkreis,

die ihm am stärksten zur Wiederaufführung der

Matthäuspassion gedrängt haben. Nachdem der

vierzehnjährige Mendelssohn zu Weihnachten

1823 eine Abschrift der Partitur der Matthäuspas-

sion geschenkt bekommen hatte, begeisterte er

sich und auch sein näheres und weiteres Umfeld

in den folgenden Jahren so sehr für das Werk,

dass schliesslich eine Wiederaufführung ins Auge

gefasst werden konnte. Dass in diesen Vorberei-

tungsprozess auch Julius Schubring einbezogen

war, geht aus Schubrings o. a. Erinnerungen an

Felix Mendelssohn Bartholdy hervor: „Einstmals

klagte ich ihm, dass es mir schwer werde, die

Bachsche Musik anders denn als ein trocke-

nes Rechenexempel aufzufassen. Da wollte er

mich eines Besseren überzeugen und holte die

Matthäus-Passion, davon er kurz zuvor aus den

Zelterschen Vorräthen eine Abschrift bekommen.

Wir sangen daraus mit den Schwestern ein gutes

Theil und da er sah, dass es mich Laien hoch

entzückte, fasste er Muth und wir verabredeten

eine Wiederholung mit besseren Kräften. Eduard

Devrient nebst Frau waren bald zur Hand und

sangen vortrefflich; bald war ein kleiner Chor mit

16 Stimmen zusammengebracht und wöchentli-

che Uebungen eingerichtet. Das Entzücken aller

Theilnehmenden und Zuhörenden ermunterte

und drängte zu der im anderen Jahre folgenden

öffentlichen Aufführung, durch welche dieses

längst verschollene Meisterwerk der Welt wieder

gegeben worden ist.“ (in Daheim, März 1866, S.

375). – Bei der ersten Wiederaufführung der Mat-

thäuspassion am 11. März 1829 wurden übrigens

die hier vorliegende Arie „Du lieber Heiland du“

und das Recitativ „Buss und Reu“ von der Prima-

donna Anna Milder-Hauptmann (1785-1838), die

Arie „Ach wo ist mein Jesus hin“ von der Altistin

Auguste Türrschmidt gesungen (Geck Martin,

Die Wiederentdeckung der Matthäuspassion

im 19. Jahrhundert, Regensburg, Bosse, 1967, S.

35). - Bedeutende Quelle für die Bach-Renaissan-

ce des 19. Jahrhunderts, die mit Mendelssohns

Bemühungen ihren Anfang nahm.

Provenienz: Hs. Aufzeichnungen zur Über-

lieferung des vorliegenden Manuskriptes sind

auf dem Innendeckel montiert. Darunter der

Vermerk: „Diese beiden Arien von Bach hat

Mendelssohn eigenhändig für meine Mutter

abgeschrieben, als er mit seinem Freund Julius

Schubring, meiner Mutter Bruder, bei meinen

Eltern zum Besuch in Quellendorf war.“ - Dieser

Vermerk stammt offenbar von Adelheid Mohs

(1842-1916). - Schweizer Privatbesitz.

CHF 120 000 / 160 000

(€ 111 110 / 148 150)

Autographen |