

Louis XV, von J. BAUMHAUER (Joseph Baumhauer, „ébéniste du Roi“
um 1749), Paris um 1755.
Braunes Schildpatt ausserordentlich fein eingelegt mit Messingbeschläge
in „première-partie“; Blumenblüten, Blätter, Voluten, Kartuschen und
Zierfries. Viertelkreisrunder Korpus mit vorstehenden vorderen Eckstollen
auf wellig ausgeschnittener Zarge mit kurzen, geschweiften Beinen. Ge-
bauchte Front mit Zentraltüre unter 2 nebeneinander liegenden Schubla-
den. Ausserordentlich reiche, matt- und glanzvergoldete Bronzebeschläge
und -applikationen in Form von weiblichen Büsten, Puttenbüsten,
Maskaronen, Muscheln, Mäanderband und Zierfries - die Büsten und die
Zentralkartusche im 19. Jh. ersetzt. Ersetzte und profilierte „Portor“-Plat-
te. 78x55x94 cm.
Provenienz:
- Womöglich ehemals Sammlung Michel Bouret, nach 1778.
- Auktion Drouot Paris, 18.12.1968 (Katalognr. 152).
- Ségoura, Paris.
- Hochbedeutende Privatsammlung, Genf.
Mit Gutachten des Cabinet Etienne/Molinier, Paris 2017.
Das hier angebotene Paar ist abgebildet und ausführlich beschrieben von
J.D. Augarde, Joseph Baumhauer, Ebéniste privilégié du Roi, in: L‘Estam-
pille, Juni 1987; S. 15-45.
Im Nachlassinventar vom Financier M. Bouret, erstellt am 22.6.1778, wur-
den zwei Encoignuren mit Boulle-Marketerie erwähnt; „deux encoignures
de marqueterie ouvrage de Boule (sic), orné de bronze doré d‘or moulu et
a dessus de marbre vert campan“. Der Hinweis auf Boulle meinte nicht die
eigentliche Urheberschaft der Möbel, sondern die Marketerie. Von A.C.
Boulle ist nur ein Paar Encoignuren mit dieser Marketerie bekannt, wel-
ches für die Menagerie von Versailles gefertigt wurde und heute Teil der
Sammlungen vom Victoria & Albert Museum in London ist. Es erscheint
deshalb sinnvoll, das hier angebotene Paar als dasjenige aus dem Inventar
des wichtigen Financiers zu vermuten.
Aus der Werkstatt von J. Baumhauer sind fünf Möbel mit Metalleinlagen
quellenmässig belegt. Das hier angebotene Paar gilt als das chronologisch
erste, gefolgt von einem Paar Anrichten sowie weiteren Paaren für den
Duc d‘Aumont und den Händler C. Julliot-Vaudreuil, teils in „contre-par-
tie“. Diese Möbel gelten als Beleg, dass die Beliebtheit der Boulle-Marke-
terie durch das ganze 18. Jahrhundert erhalten blieb.
Das Inventar von der Werkstatt J. Baumhauers erwähnt keine Bronzen
- es kann somit angenommen werden, dass er diese von einer auswärti-
gen Werkstatt bezog; die Quellen erwähnen T. Oblet (Thomas Oblet,
Meister ca. 1740), der mit J.J. de St. Germain zusammenarbeitete oder
den Ziselierer J. Piault. Zudem wird vermutet, dass J. Baumhauer diverse
Bronzen aus der Werkstatt des P. Latz (Pierre Latz, Meister um 1740)
nach dessen Tod im Jahre 1756 erwarb. Als Beleg wird auf eine Kommode
hingewiesen, welche bei Philipps/de Pury/Luxembourg am 5.12.2001
(Katalognr. 43) verkauft wurde, deren Eckbronzen mit weiblichen Büsten
nahezu identisch sind mit den Bronzen des hier angebotenen Paares. Iden-
tische oder sehr ähnliche Bronzebeschläge mit Frauenbüsten finden sich
an diversen, hochbedeutenden Möbeln; das A.C. Boulle zugeschriebene
Bureau-Plat für den Electeur de Bavière, heute Teil der Sammlungen des
Musée du Louvre, ein B. Van Risenburgh zugeschriebenes Bureau-Plat aus
der Wallace Collection in London sowie eine Kommode aus dem Toledo
Museum of Art.
Diverse von J. Baumhauer signierte Encoignuren sind bekannt; ein Paar,
eingelegt mit Amaranth und im neoklassizistischen Stil, wurde bei Chris-
tie‘s Monaco am 20.6.1994 (Katalognr. 216) verkauft. Ein weiteres Paar mit
Lackpanneaux im „goût chinois“ und gefertigt für A. Blondel de Gagny ist
abgebildet in: L‘Estampille/L‘Objet d‘Art 204 (1987); S. 26f. Als weitere
Möbel von J. Baumhauer mit Boulle-Marketerie sollen folgende erwähnt
werden; zwei Kabinette mit „Pietra Dura“-Einlagen, gefertigt für den Duc
d‘Aumont, heute Teil der Sammlungen von Versailles, ein Sekretär, gefer-
tigt für Randon de Boisset in Versailles, ein Paar tiefe Bibliotheken - heute
Teil der Sammlungen der Wallace Collection in London.
Die Anbringung von Bronzebeschlägen im 19. Jahrhundert für die
„espagnolettes“ und der Zentralkartusche entspricht dem Geschmack der
damaligen Zeit, die Ikonographie der Epoche Louis XIV wieder aufleben
zu lassen. Die Qualität dieser Bronzen weist auf die bedeutendsten Werk-
stätten der Epoche hin.
J. Baumhauer, genannt Joseph, gehört zu den wichtigsten Ebenisten
der Louis-XV-Epoche. Seine Werke sind mit jenen von Bernard II Van
Risenburgh puncto Qualität durchaus vergleichbar. Er wurde in Deutsch-
land geboren und reiste als junger Mann nach Paris, wo er lange Zeit
als Mitarbeiter seines Landsmannes François Reizell tätig war und 1745
heiratete. 1767 erhielt er „le brevet d‘ouvrier privilégié du Roi“. Dieser Titel
brachte ihm fast so viele Rechte und Privilegien ein wie die Meisterwürde.
Ende der 1760er Jahre eröffnete er in der Rue du Faubourg-Saint-Antoine
sein eigenes Atelier „A la Boule d‘or“. Da die Franzosen mit der Ausspra-
che seines deutschen Namens Mühe hatten, beschloss J. Baumhauer, seine
Werke nur mit dem Vornamen zu signieren, verziert mit zwei Lilien. Diese
Lilien findet man oft in Stempeln von Ebenisten, die „privilèges royals“
genossen.
Josephs Louis-XV-Möbel werden durch eine schlichte Formgebung
charakterisiert, die mit dem Reichtum und der Pracht der Dekoration
kontrastieren. Die Kommoden, Encoignuren und Bureau-Plats, aus
denen seine Produktion fast ausschliesslich bestand, weisen langgezogene
Linien, wenig ausgeprägte Rundungen, perfekte Proportionen und eine
Eleganz auf, die man nur selten findet. Joseph wählte, wie Bernard II Van
Risenburgh, nur die besten und edelsten Materialien für seine Arbeiten
aus, er schmückte sie mit Marketerien aus dunkel gefärbtem „bois de bout“
und Rosenholz, mit Lack „d‘Extrême-Orient“ und Porzellan-Plaketten aus
Sèvres.
CHF 150 000 / 250 000
(€ 138 890 / 231 480)
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