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394Französischer Buchmaler um 1480-90. Paris, ca.
1480-90. Blatt aus einem Stundenbuch mit der
Verkündigung. Pergament, 175 x 115 mm.
Die von einer reichen Vollbordüre umfasste Bild-
miniatur verbildlicht in eleganter Form die Ver-
kündigung an Maria. Der Bordürenschmuck aus
sich leicht windenden Ranken ist von Rhomben
durchsetzt, auf deren Goldgrundbunte Blüten
und Früchte zu erkennen sind. Im Zentrum der
unteren Bordüre stolziert ein Mischwesen mit
Narrenkopf und Drachenkörper, wohingegen
rechts eine Wespe surrt. Die Szene ist in einen
mystisch dunkeln Raum gesetzt, der durch das
göttliche Kolloquium zwischen Maria und der
golden schillernden Lichtgestalt Gabriels sich
aufzuhellen scheint.
Das schöne Blatt gehörte einst wohl einem
glanzvollen Stundenbuch an, das für eine reiche
französische Adelsfamilie geschaffen wurde.
Stil und Bordürenschmuck (die von Rhomben
besetzte Bordüre) weisen für den unbekannten
Buchmaler auf das künstlerische Ambiente
im Umkreis des Jacques de Besançon und des
Meisters der Chronique Scandaleuse hin, was
zugleich auf eine ungefähre Entstehungszeit um
1480-90 schliessen lässt.
Bibliographie: unveröffentlicht
CHF 800 / 1 200
EUR 740 / 1 110
395Giovanni d’Antonio da Bologna. Bologna, ca.
1440. Blatt aus einem franziskanischen Graduale
mit der Initiale A und dem sich Gott hinwen-
denden David. Pergament, 565 x 410 mm.
Provenienz: seit 1994 in Londoner Privatbesitz.
Das 1994 im Londoner Kunsthandel wieder
aufgetauchte Blatt eröffnete den ersten Band
eines Graduale (Proprium de Tempore), das
die liturgischen Gesänge vom ersten Advents-
sonntag bis mindestens zur Epiphanie umfasste.
Zwei weitere Blattfragmente gleichen Stils und
vermutlich aus dem gleichen Verband, welche
die Feste an Weihnachten und der Epiphanie
betreffen, haben sich in der Sammlung der
Fondazione Giorgio Cini in Venedig (Ms 2117,
2118) erhalten (G. Mariani Canova, 1978, S. 29-
30).Das die Weihnachtsliturgie betreffende Blatt
in Venedig zeigt im unteren Bereich der Initiale
eine Gruppe betender Franziskaner, was für die
drei Blätter auf eine franziskanische Provenienz
schliessen lässt. Vorliegende mit der Seitenzahl
1 versehene Seite bildete folglich das Frontispiz
des aufgebrochenen franziskanischen Graduals.
Überzeugend konnte für unsere Blätter die
Autorschaft des bolognesischen Buchmalers
Giovanni d‘ Antonio geltend gemacht werden
(Bel 1996, S. 28; A. De Floriani, 1996, S. 150-
157). Seine künstlerische Identität konnte über
das signierte und datierte (1432) Manuskript von
Andrea da Budrio’s Commentarium super lib. II
Decretalium pars II in der Biblioteca Nazionale
in Neapel (MS. XIV.A. 21 erschlossen werden.
(M. Medica 1987). Eine Serie stilverwandter
Blätter eines franziskanischen Psalters lassen
vermuten, dass dieser aufgebrochene liturgi-
sche Band aus dem gleichen Franziskanerhaus
stammt wie die hier angesprochenen franziskani-
schen Graduale Blätter. Giovanni d‘Antonio da
Bologna, dessen kultivierter Stil sich nicht allein
an der lokalen Buchkunst der Nachfolge des
Nicolò di Giacomo, sondern auch besonders an
den spätgotischen Tendenzen der emilianischen
Monumentalmalerei etwa des Meisters von
Vignola oder Giovanni da Modena orientiert,
gehörte im 2. Viertel des 15. Jahrhunderts
zweifellos zu den führenden Buchmalern
Bolognas. Es überrascht kaum, dass er zu seiner
Zeit zu den gefragtesten Buchmalern der Este
Stadt Ferrara gehörte, wo er für die dortigen
Olivetaner Brüder einen prachtvoll illuminierten
zweibändigen Psalter schuf (Ferrara, Museo
Schifanoia, cod. I and O).
Bibliographie: S. Hindman, M Bollati, Illumina-
tions, Katalog BEL, London 1996, S. 28; Anna
De Floriani, in: La Spezia, Museo Civico Ame-
deo Lia. Miniature, Milano 1996, S. 150-157.
Zitierte Literatur: Giordana Mariani Canova,
Miniature dell’ Italia Settentrionale nella Fonda-
zione Giorgio Cini, Vicenza 1978, S. 29-30;
Massimo Medica, Per una storia della miniature
a Bologna tra Tre e Quattrocento. Appunti e
considerazioni, in:Il Tramonto del Medioevo a
Bologna. Il cantiere di San Petronio, exh. cat.
1987 (ed. R. D‘Amico, R Grandi), Bologna 1987,
S. 186-188.
CHF 12 000 / 15 000
EUR 11 110 / 13 890
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